Wien, September 1916: „Der andauernde Mangel gerade an den wichtigsten Lebensmitteln, wie Brot und Kartoffeln, Mehl etc. hat, wie im letzten Stimmungsberichte vorausgesagt wurde, in einigen Bezirken zu äusserst erregten Sturmszenen der Unbefriedigten und zu Demonstrationsumzügen kleineren Stils geführt. Am 25. d.M. z.B. blieben bei der Mehlfirma Ha f n e r von 4000 Wartenden um ½ 10 Uhr vormittags 2600 Personen unbefriedigt. 6000 [sic!] davon, durchwegs Frauen und Kinder, setzten sich unter Schreien und Johlen gegen den Stadtbezirk in Bewegung. Die Sicherheitswache zerstreute dieselben vor den Viadukten. Ein anderer, aus Buben und Mädchen unter Teilnahme von nur wenig Frauen zusammengesetzter Demonstrationszug bewegte sich durch die Laxenburgerstrasse unter Anführung eines 13jährigen Mädchens, das ein weisses Taschentuch in der Luft schwang und die Passanten […] zum Mitgehen aufforderte. Auch dieser Ruhestörung wurde noch im Bezirke durch Sicherheitswache ein Ende gemacht. Kleineren Gruppen von Frauen gelang es trotzdem, um 3 Uhr nachmittags vor dem Kriegsministerium aufzutauchen, wo dieselben von der Wache zerstreut wurden. […] Im Verlaufe dieses Tages wurden durch die Demonstranten im X. Bezirk 2 Auslagescheiben, eine davon angeblich im Werte von ca 400 Kronen, zertrümmert. Arretiert wurden 2 Frauen, 1 Mann, das vorerwähnte 13jährige Mädchen
und ein 13jähriger Knabe.“
Dieser Auszug aus einem Stimmungsbericht der k.k. Polizeidirektion in Wien aus dem dritten Kriegsjahr 1916 veranschaulicht die Ernährungskrise und die Situation auf den Märkten und Straßen der Residenzstadt. Im „Hungerwinter“ 1916/19172 spitzte sich die Situation zu, Demonstrationen und Ausschreitungen waren fast schon Alltag in einer Stadt, in der von Kriegsbegeisterung keine Rede mehr zu sein schien.
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Den Volltext des Artikels „`Unter Anführung eines 13jährigen Mädchens´ – Gewalt und Geschlecht in unorganisierten Protestformen in Wien während des Ersten Weltkrieges“ von Veronika Helfert finden Sie hier:
JBzG_2014_II_Veronika_Helfert_